Veröffentlichung in der Falldatenbank: 14.02.2013

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Oberlandesgericht Hamm: Der Pflichtenkreis des GmbH-Gesellschafters; zwischen unternehmerischem Ermessen und Schadensersatzanspruch

§§ 43 Abs. 2, 46 Nr. 5 GmbHG, § 249 BGB

1. Die Anforderungen an den GmbH-Gesellschafter bei der Ermessensausübung zur Ermittlung einer kaufmännisch vertretbaren Werbemaßnahme.

2. Fehlt es an einer ordnungsgemäßen Übergabe des Geschäfts nach Amtsniederlegung kann das einen Organisationsfehler darstellen.

3. Auch ein mehrere Jahre zurückliegendes pauschales Einverständnis kann als ‚angemessene Information‘ eine pflichtgemäße Ermessensentscheidung tragen.

Landgericht Bochum, Urteil vom 20.09.2011 – I - 12 O 191/10

Oberlandesgericht Hamm, Urteil vom 04.09.2012 – I – 27 U 179/11 (SNH: 402/09)

Anmerkungen
Rechtsanwalt Dieter Schmitz und Rechtsreferendarin Isa Weber, Witten

Sachverhalt
Das Oberlandesgericht Hamm entscheidet als Berufungsinstanz über das Bestehen von Schadensersatzansprüchen einer GmbH gegen ihren vormaligen Geschäftsführer. Das Urteil ist interessant, weil es dem OLG Hamm die Möglichkeit geboten hat, zugleich drei verschiedene Pflichten eines Geschäftsführers heranzuziehen und dazu eine Entscheidung zu treffen. Jedoch der Reihe nach: Zunächst war die 12. Zivilkammer des Landgerichts Bochum, die Kammer für Handelssachen, mit dem Rechtsstreit zwischen der Klägerin – einer Handelsgesellschaft mbH – und ihrem ehemaligen angestellten Geschäftsführer – dem Beklagten - befasst. Der Beklagte hatte im Jahre 2008 sein Angestelltenverhältnis gekündigt – und damit auch sein Geschäftsführeramt [hier ggf. Link einfügen zu Geschäftsführer-Urteil] niedergelegt. Zuvor hatte er in Höhe von 17.000€ über das Gesellschaftsvermögen verfügt, um ein Leistungspaket „Business-Club“ für die Saison 2008/09 zu erwerben. Dieses beinhaltete unter anderem vier Dauerkarten für den - wohl von ihm favorisierten - Fußballverein 'Borussia Mönchengladbach', die er nach seinem Vortrag für Kundenbetreuungszwecke zu nutzen gedachte. Die Klägerin wirft ihm vor, ferner einen Platz für ein Zeitungsinserat in einer Fachzeitschrift für über 3.000€ erworben zu haben. Im Anschluss daran erfolgte seine Amtsniederlegung, sodass er die tatsächliche Schaltung des Inserats nicht mehr initiierte. Der Vorwurf der Klägerin zielt darauf, von dem Beklagten nicht über die Erforderlichkeit weiterer Maßnahmen zur Wahrnehmung der Werbeleistung unterrichtet worden zu sein. Der dritte Anspruch betrifft die Zahlung des Beklagten an einen Insolvenzberater. Die Insolvenz betraf eine österreichische Firma auf demselben Geschäftsfeld wie die Klägerin, an welcher der Beklagte früher zu einem Fünftel beteiligt war. Die Klägerin meint insgesamt, durch jede der drei Zahlungen habe sich der Beklagte ihr gegenüber schadensersatzpflichtig gemacht. Der Beklagte meint dementgegen, mit dem Kauf der Fußballkarten eine geeignet Werbemaßnahme ergriffen zu haben und jedenfalls zur Rücksprache mit der Klägerin bereit gewesen zu sein, was das Inserat betrifft. Ferner beruft er sich auf eine mehrere Jahre zurückliegende, pauschale Äußerung der Klägerin dahin, 'Geschäftspartner nicht im Regen stehen zu lassen', wodurch er die Zahlung an den Insolvenzberater als legitimiert ansieht. Das Landgericht Bochum wies die Klage vollumfänglich ab: das Verhalten des Beklagten möge zwar grenzwertig, aber nicht pflichtwidrig gewesen sein. Mit der Buchung der Fußball-Tickets seien „die Grenzen des dem Beklagten als Geschäftsführer zustehenden Handlungsermessens […] nicht überschritten.“ Vor dem Hintergrund, dass die Rechnung für das Zeitungsinserat bei Ausscheiden des Beklagten noch unbezahlt gewesen ist, war nach Auffassung des Gerichts auch im Zusammenhang mit der Buchung des Inserats kein pflichtwidriges Verhalten erkennbar, vielmehr sei es an der Klägerin gewesen, entsprechende Erkundigungen einzuholen. Letztlich habe sich auch die Einschaltung des Insolvenzberaters noch im Rahmen der dem Beklagten gemachten Vorgaben gehalten. Gegen dieses Urteil wendet sich die Berufung der Klägerin.

Entscheidung
Dabei hat die Klägerin weit überwiegend Erfolg. Der 27. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Hamm (OLG) zeigt auf, dass es Sache des Beklagten ist, sich hinsichtlich objektiver und subjektiver Pflichtverletzungen zu entlasten. Dem Geschäftsführer sei zunächst für sein Handeln ein unternehmerisches Ermessen zuzubilligen, diese müsste er aber auch fehlerfrei ausgeübt haben. Das Gericht sieht ihn verpflichtet „nach ausreichender Informierung die Vor- und Nachteile der ausgewählten Werbemaßnahme im Sinne einer Kosten/Nutzen-Relation abzuwägen und mit anderen in Betracht kommenden Optionen [zu] vergleichen.“ Ob es überdies auf die Dokumentation des Entscheidungsprozesses ankommen soll, wurde zwar in der mündlichen Verhandlung thematisiert, im Urteil aber offen gelassen. Dem Beklagten ist die Entlastung nicht gelungen. Nach Auffassung des Gerichts handelte es sich bei dem Ankauf des Leistungspakets „Business-Club“ um eine kaufmännisch nicht vertretbare Maßnahme. Als möglicherweise werbewirksame Maßnahme blieb, so führt das Gericht aus, nur die Möglichkeit, mit bis zu drei Geschäftspartnern gelegentlich ein Heimspiel zu besuchen. Auch unterstellt, der Beklagte habe daran gewisse Umsatzerwartungen geknüpft, sei das Ziel der 'Kundenbetreuung' offensichtlich mit geringerem Aufwand erreichbar gewesen. Angeführt wurde die Möglichkeit des Erwerbs einer jeweils passenden Anzahl von Eintrittskarten zu irgendeinem durchschnittlich attraktiven Erstliga-Spiel im Ruhrgebiet im Einzelfall. Aufgrund dieser Erwägung nimmt das OLG  eine Anrechnung des auf 3.000€ geschätzten Betrags für den teilweisen Nutzen der Klägerin zur Vorteilsausgleichung auf den zugebilligten Schadensersatzanspruch vor, da es annimmt, dieser Betrag sei der Klägerin für den Kauf einzelner Tickets erspart geblieben. Auch die Kosten für die Werbung in der Fachzeitschrift sind nach Auffassung des OLG als vergebliche Aufwendungen der Klägerin ein Schaden, der seine Ursache in einer Pflichtverletzung des Beklagten findet. Diese nämlich, so führt das Gericht aus, bestehe darin, nicht vor seinem Ausscheiden betriebsintern veranlasst zu haben, dass zumindest ein zuständiger Mitarbeiter von dem Erfordernis der Leistungsinanspruchnahme und Beisteuerung der Druckvorlage informiert wurde. Es handele sich um einen Organisationsfehler, der dem Beklagten schon deshalb vorzuwerfen sei, weil er auch mit einer krankheits- oder sonst persönlich bedingten Verhinderung habe rechnen müssen. Das OLG geht hier entgegen dem erstinstanzlichen Urteil davon aus, dass sich der Beklagte einer Pflichtverletzung schuldig gemacht hat. Das Landgericht Bochum hatte sich noch auf den Standpunkt gestellt, der Beklagte habe keine ihn treffende Aufklärungspflicht verletzt. Diese Würdigung wird den tatsächlichen Umständen aber nicht gerecht; es hat hier an der zur erfolgreichen Weiterbearbeitung des Geschäfts erforderlichen, ordnungsgemäßen Übergabe durch den Beklagten gefehlt – ihn trifft ein Organisationsverschulden, das den von der Klägerin geltend gemachten Schadensersatzanspruch auslöst. Weiter ist das Vorfinden und Bezahlen einer Rechnung nach Ansicht des Gerichts nicht ausreichend, um von der Klägerin den Schluss zu verlangen, selber noch aktiv werden zu müssen. Eine Prüfung arbeitsrechtlicher Grundsätze zur Haftungsmilderung schließt das Gericht im Hinblick auf die Organstellung des Beklagten aus. Hinsichtlich der Zahlung an den Insolvenzverwalter und insbesondere angesichts der geringen Höhe des hier geflossenen Betrages (2.300€) bleibt die Berufung der Klägerin ohne Erfolg. Das OLG hatte zwar zunächst die Pflichtverletzung des Beklagten als schlüssig vorgetragen angesehen, diese aber nach Abschluss der Beweisaufnahme verneint. Es schließt sich ausdrücklich der landgerichtlichen Entscheidung an und sieht den Beklagten vom Vorwurf der schuldhaften Pflichtverletzung entlastet. Dabei zieht es den für das Aktiengesetz kodifizierten Grundsatz heran, dass eine Pflichtverletzung dann nicht vorliegt „wenn das Vorstandsmitglied bei einer unternehmerischen Entscheidung auf der Grundlage angemessener Informationen vernünftigerweise annehmen durfte, zum Wohle der Gemeinschaft zu handeln.“ Dabei beruft es sich auf Altmeppen (in GmbHG, 7. Auflage 2012, § 43 Rn. 9), demgemäß der oben genannte Grundsatz auch für den GmbH-Geschäftsführer gilt. Es hatte zwar im Vorfeld keine konkrete Weisung an den Beklagten gegeben, doch nach Auffassung des Gerichts handelte der Beklagte aufgrund angemessener Informationen, wenn er annahm, das zwischen 4-5 Jahre zurückliegende Einvernehmen der Gesellschafter bestünde fort. Er befand sich noch im Rahmen der Schlussfolgerungen, die ein Geschäftsführer für sein Handeln ziehen darf. Dabei gibt das OLG wiederum ausdrücklich zu, dass die Zahlung weder von der Klägerin geschuldet noch für sie unmittelbar vorteilhaft war, ohne dass es an seiner Würdigung etwas ändern könnte.

Praxishinweis
Die Pflicht eines jeden Gesellschafters ist es, das Unternehmen mit dem Ziel zu leiten, den Gesellschaftszweck bestmöglich zu fördern (Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 17. Aufl., § 43 Rn. 8). Dies hatte bereits das Landgericht Bochum in der ersten Instanz so gesehen und dazu eine Entscheidung des BGH zitiert, nach der „in allen Angelegenheiten, die das Interesse der Gesellschaft berühren, jeder Geschäftsführer allein deren Wohl und nicht seinen eigenen Nutzen im Auge haben“ muss (BGH NJW 1986, 585, 586 m. w. N.). Daraus zog es aber nach Auffassung der Klägerin - und letztlich auch der des Berufungsgerichts – nicht die richtigen Schlüsse für das Verhalten des Beklagten. Dieser nämlich hat insbesondere mit seiner Entscheidung, aus dem Angebot seines Lieblingsvereins ein kostenintensives Jahres-Abo als Maßnahme zur ‚Kundenbetreuung‘ zu wählen, deutlich die Grenzen kaufmännisch vertretbarer Maßnahmen überschritten – insbesondere dadurch,  dass seine Ermessensentscheidung fehlerhaft war. Fraglich bleibt aber auch nach diesem Urteil, ob eine Dokumentationspflicht für den Entscheidungsprozess besteht, wie dies im Recht der Aktiengesellschaft der Fall ist. Bei Begutachtung der unternehmerischen Entscheidung hinsichtlich der Zahlung an den Insolvenzverwalter hatte das Gericht noch ausdrücklich die Literaturmeinung zur Parallelität von GmbH-Geschäftsführer und der Geschäftsführung einer Aktiengesellschaft herangezogen. Hinsichtlich der Dokumentationspflichten bleibt es dagegen hinter den Erwartungen zurück; dem Urteil sind weder in die eine, noch in die andere Richtung Schlüsse zu entnehmen. Zwar ist die Frage in der mündlichen Verhandlung aufgeworfen worden, wobei sich hier eine wohl eher ablehnende Haltung abzeichnete, doch stellt das Gericht im Urteil auf die weiteren Pflichtverstöße ab und lässt damit im Ergebnis offen, ob eine Pflichtverletzung des Geschäftsführers auch auf mangelhafte oder fehlende Dokumentation des Entscheidungsprozesses begründet werden kann.

Bei Fragen berate ich Sie gern,

Ihr Rechtsanwalt Dieter Schmitz - Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht

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