Veröffentlichung in der Falldatenbank: 14.02.2013

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Landgericht Essen: Von der Rückabwicklung eines Autokaufvertrages; der Verkäufer schuldet ersparte Schuldzinsen als Kapitalnutzungsersatz

BGB §§ 246, 323, 346, 347, 348, 434, 437 BGB; §§ 257, 258, 259 ZPO

1. Weist der Verkäufer die Informationen 'laut Vorbesitzer' aus, handelt es sich dabei nicht um die positive Beschaffenheitsvereinbarung, dass weitere Schäden nicht vorliegen, sondern um eine Wissenserklärung, hinsichtlich derer der Verkäufer aber zumindest für eine vollständige Wiedergabe haftet.

2. Bei der Rückabwicklung eines Kaufvertrages sind dem Rückgewährgläubiger auch die aus dem Kaufpreis gezogenen bzw. erzielbaren, aber nicht erwirtschafteten Nutzungen zu ersetzen.

Landgericht Essen, Urteil vom 18.07.2012 – 4 O 100/12 (SNH: 203/12)

Anmerkungen
Rechtsanwalt Arnim Haase und Rechtsreferendarin Isa Weber, Witten

Sachverhalt
Das Landgericht Essen setzt sich mit den Ansprüchen im Zusammenhang mit der Rückabwicklung eines Autokaufvertrages auseinander. Im Mai 2010 hatte der Kläger bei der Beklagten – einer Autohaus GmbH - einen gebrauchten Pkw mit einer Laufleistung von 20.000 km zu einem Preis von 11.990 € erworben. Die Beklagte hatte den Pkw zu diesem Preis auf der Fahrzeugverkaufsplattform mobile.de angeboten. Angaben zu Unfallschäden enthielt die Anzeige nicht, vielmehr wurde das Kfz als scheckheftgepflegtes Nichtraucherfahrzeug aus erster Hand inseriert. Bei Vertragsschluss offenbarte sich dem Kläger zwar, dass es bereits drei Vorbesitzer zu dem Fahrzeug gab und auch wies der Geschäftsführer der Beklagten darauf hin, dass es 'laut Vorbesitzer' Schäden an Kotflügel, Seitenteil und Schweller gegeben habe; er tat diese Schäden laut Aussage des Klägers aber als 'kleinen Unfallschaden' ab. Nach etwa 2 Jahren und weiteren 22.000 gefahrenen Kilometern stellte der Kläger Anfang März 2012 das Fahrzeug seinerseits zum Verkauf und erlangte im Zuge seiner Verkaufsbemühungen Kenntnis von einem bereits im Jahre 2009 erfolgten Unfall der vorletzten Vorbesitzerin. Ein DEKRA-Unfallgutachten aus dieser Zeit stellte massive Eindrückungen und teilweise Knicke von Tür, Seitenteil und Schweller heraus, ferner innere Versteifungen, ein verzogenes Radhaus und die Auslösung des Seitenairbags. Zur Beseitigung der Unfallschäden sollte der Einsatz einer Richtbank erforderlich sein – die Reparaturkosten wurden auf etwa 10.000€ beziffert. Der Kläger erfuhr ferner, dass die letzte Vorbesitzerin, deren Eintragung im Fahrzeugbrief ihm gegenüber als bloßes Versehen deklariert wurde, vom Kaufvertrag zurückgetreten sei, als sie von oben genannten Unfallschäden erfuhr. Auf Grundlage dieser Erkenntnisse erklärte der Kläger den Rücktritt vom Kaufvertrag und forderte die Beklagte in einem anwaltlichen Schreiben auf, bis zum 26.03.2012 ihr Einverständnis zur Rückabwicklung des Kaufvertrages zu erklären. Nach fruchtlosem Ablauf der Frist fordert der Kläger nun gerichtlich die Rückabwicklung des Kaufvertrages und Auszahlung der durch die Beklagte aus dem Kaufpreis gezogenen Nutzungen – immerhin 0,83€ pro Tag seit Abschluss des Kaufvertrages vor über zwei Jahren. Ferner begehrt er Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten mit Ablauf der Erklärungsfrist am 26.03.2012. Der Kläger ist der Ansicht, arglistig getäuscht worden zu sein. Er behauptet, die Beklagte habe mit dem Kaufpreis ihren Überziehungskredit um diese Summe zurückgeführt und dadurch Zinsen in Höhe von mindestens 10% erspart; jedenfalls habe man ohne weiteres Anlagezinsen in Höhe von 2,5 % erzielen können. Die Beklagte meint dagegen, die Unfallschäden seien sach- und fachgerecht behoben worden und setzt den Gebrauchsvorteil des Klägers mit 4.000€ an. Für die geforderte Nutzungsentschädigung fehle es an einer Rechtsgrundlage; der Kaufpreis sei in den Geschäftsbetrieb geflossen und eben nicht angelegt worden.

Entscheidung
Das Gericht spricht dem Kläger zunächst den Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises zu – Zug um Zug gegen die Rückgabe des Fahrzeuges - und nimmt einen Abzug in Höhe von 1.500€ für den Nutzungswertersatz vor. Auch stellt es den Annahmeverzug der Beklagten wegen der Mangelhaftigkeit des Fahrzeugs und damit die Wirksamkeit des Rücktritts des Klägers fest. Bei der Parteiabsprache hinsichtlich der Vorschäden handelt es sich laut Gericht um eine negative Beschaffenheitsvereinbarung, die zwar gesetzlich nicht vorgesehen, aber nach den Grundsätzen der Privatautonomie zulässig sei. Eine positive Beschaffenheitsvereinbarung im Sinne des § 434 Abs. 1 S.1 BGB sei dagegen nicht gegeben, da aus der Parteivereinbarung nicht geschlossen werden könne, dass über die genannten Vorschäden hinaus keine weiteren Mängel bestünden. Die Formulierung ‚laut Vorbesitzer‘ mache hinreichend deutlich, dass es sich nicht um eigenes Wissen der Beklagten gehandelt habe. Von dieser könne deswegen auch nicht erwartet werden, eine Haftung für die Richtigkeit der Angaben zu übernehmen. Die Parteien haben nach Auffassung des Gerichts weder eine Beschaffenheitsgarantie noch eine positive Beschaffenheitsvereinbarung getroffen. Was die vom Kläger vorgetragene arglistige Täuschung angeht, bedarf es nach Ansicht des Gerichts deren Nachweises nicht, da der klägerische Anspruch auf Rückabwicklung des Kaufvertrages schon aus § 434 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 BGB folge; das Fahrzeug habe nicht die Beschaffenheit aufgewiesen, die auch unter Berücksichtigung der negativen Beschaffenheitsvereinbarung bei einem Gebrauchtwagen üblich sei. Nach dem maßgeblichen objektivierten Empfängerhorizont habe der Kläger erwarten dürfen, dass über die im Kaufvertrag genannten Schäden hinaus keine weiteren Unfallschäden vorhanden seien. Vor allem auf Nachfrage hin treffe den Verkäufer eine Offenbarungspflicht, über Mängel richtig und vollständig Auskunft zu geben. Habe er keine weitere Kenntnis hinsichtlich des Ausmaßes der Schäden, habe er darauf hinzuweisen. Dass sich die Beklagte auf eine fachgerecht ausgeführte Reparatur beruft, hat für das Landgericht keinen Einfluss auf die Mangelhaftigkeit des Fahrzeugs. Unter Zitierung von Reinking/Eggert, Der Autokauf, 11. Aufl., Rn. 3148 weist es darauf hin, dass bei schweren Unfallschäden - auch wenn keine Wertminderung zurückbleibe – trotz Reparatur von einer Mangelhaftigkeit ausgegangen werden müsse. Auf eine Fristsetzung durch den Kläger kam es wegen der Unfalleigenschaft als folglich nicht behebbarem Mangel nicht an. Hinsichtlich der gegenzurechnenden Gebrauchsvorteile geht das Gericht in Anlehnung an die sogenannte Karlsruher Formel von einem Betrag von 0,07 € pro gefahrenem Kilometer aus (Gebrauchsvorteil = (Bruttokaufpreis x zurückgelegte Fahrstrecke) / voraussichtliche Restlaufleistung). Der ermittelte Nutzungswert sei dann mit dem Kaufpreis (nicht mit dem geltend gemachten Zinsanspruch) zu verrechnen. Diesbezüglich führt das Gericht aus: „Da der Anspruch der Beklagten auf Nutzungsersatz bereits vor Beginn des zinsbegründenden Schuldnerverzugs dem Kaufpreisanspruch in voller Höhe gegenüberstand, sind diese Ansprüche (rückwirkend) miteinander zu verrechnen.“ Was den Zinsanspruch des Klägers angeht, so ist die Beklagte im Hinblick auf die Rückzahlung des Kaufpreises mit Fristablauf am 26.03.2012 in Verzug geraten. Weiterhin hat der Kläger hinsichtlich des geltend gemachten Anspruchs auf Ersatz der gezogenen Nutzungen Erfolg. Das Gericht stellt dazu auf § 346 Abs. 1, 2 S.1 Nr.1 i.V.m. § 100 BGB ab und folgert, dass vom Verkäufer erzielte Zinsen als Kapitalnutzung herauszugeben oder zu ersetzen sind. Unter Berufung auf den BGH (BGHZ 138, 160) subsumiert es auch ersparte Schuldzinsen unter die zitierten Normen. Weiter führt es aus, dass der Verkäufer dem Käufer für erzielbare, aber nicht erwirtschaftete Zinsen Nutzungsvorteilsersatz gemäß § 347 Abs. 1 BGB schulde; die Vorschrift beruhe auf dem Gedanken, dass der nichtunternehmerische Schuldner bei kleineren Beträgen und kurzer Nutzungsdauer vielfach den gesetzlichen Zinssatz (§ 246 BGB, § 352 HGB) nicht erzielen würde, bei einem gewerblichen Vertragspartner und größeren Beträgen sei dagegen in der Regel davon auszugehen, dass dieser mit dem erhaltenen Geldbetrag einen Ertrag mindestens in der Höhe des gesetzlichen Zinssatz erwirtschaften könne. Da hier durch die Beklagte nur unsubstantiiertes Bestreiten erfolgt war und keine Angaben über die tatsächliche Verwendung des Geldes vorgetragen waren, konnte das Gericht nach § 287 Abs. 2 BGB schätzen. Dies tat es auch und legte jedenfalls den bürgerlich-rechtlichen gesetzlichen Zinssatz von 4 % zugrunde, den die Beklagte entgegen den Regeln der ordentlichen Wirtschaft nicht gezogen habe. Diese Zinsen seien nur aus dem empfangenen Nettokaufpreis zu errechnen, da die Mehrwertsteuer als Durchlaufposten nicht zu dem tatsächlichen Wert gehöre, der der Beklagten zugeflossenen sei. Dafür allerdings spricht das Gericht wegen der Besorgnis, die Beklagte würde sich der rechtzeitigen Leistung entziehen (§ 259 ZPO) – was es aus deren ernsthaftem Bestreiten des Anspruchs folgert – dem Kläger diesen Zinsanspruch bis zur Rückgabe des empfangenen Betrages, mithin für die Zukunft zu.

Praxishinweis
Das Landgericht Essen stützt sich in dem hier zugrundeliegenden Urteil vorwiegend auf die Entscheidung des OLG Hamm vom 05.08.2010 (28 U 22/10). So übernimmt es die oberlandesgerichtliche Rechtsprechung, nach der dem Käufer vom Verkäufer erzielte Zinsen (oder wie hier ersparte Schuldzinsen) als Kapitalnutzungen zustehen. Es dürfte sich insgesamt spiegelbildlich zu der Verpflichtung des Käufers, sich die Gebrauchsvorteile durch Nutzung eines Fahrzeugs anrechnen zu lassen, dessen Möglichkeit etablieren, die verkäuferseits erwirtschafteten Zinsen oder eben die ersparten Schuldzinsen zu fordern. Zu beachten ist dabei, dass sich der Anspruch des Käufers auf Nutzungsersatz für die Kapitalnutzung nach dem Netto-Kaufpreis richtet und deswegen keine Einbeziehung der Umsatzsteuer erfolgen darf. Diese Position einzuklagen lohnt sich; unser Kläger im vorliegenden Fall hat allein in den 796 Tagen zwischen Abschluss des Kaufvertrages und Urteilsverkündung einen Anspruch auf 660,68€ erworben. Da ihm das Gericht den Anspruch überdies bis zu dem Tag der tatsächlichen Rückgabe des Betrages durch die Beklagte zuspricht, ist diese wohl auch motivierter, ihre Schuld bald zu begleichen.

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Ihr Rechtsanwalt Dieter Schmitz

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