Veröffentlichung in der Falldatenbank: 17.03.2014

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Landgericht Bochum: Langjähriges Unterlassen einer Betriebskostenabrechnung führt nicht ohne Weiteres zu Verwirkung des Zahlungsanspruchs oder stillschweigender Vertragsänderung

BGB §§ 133, 157, 259, 535 Abs. 2, 556 Abs. 3, 578 BGB

Auch nach 16 Abrechnungszeiträumen ohne Betriebskostenabrechnung kann nicht von einer Vertragsänderung dahin ausgegangen werden, dass fortan keine Nebenkosten mehr geschuldet werden.

Landgericht Bochum, Urteil vom 07.03.2014 – I-2 O 418/13

Anmerkung

Rechtsanwalt Dieter Schmitz und Rechtsassessorin Isa Weber, Witten

Sachverhalt

Die II. Zivilkammer des Landgerichts Bochum hat über Ansprüche aus einem Mietverhältnis entschieden. Zwischen dem Kläger – dem Eigentümer einer Grundbesitzung in Bochum – und der beklagten GmbH bestand seit 1992 ein Mietvertrag über Gewerberäume, in denen die Beklagte ein Fachgeschäft für Hörgeräte betrieb. Es bestanden mehrere Verträge. Im ersten Vertrag aus dem Jahr 1992 war unter anderem Folgendes geregelt:

Und auf der nächsten Seite:

Ein weiterer Gewerberaummietvertrag zwischen den Parteien wurde im Jahr 1999 geschlossen. Dieser enthielt an den entscheidenden Stellen folgende Passus:

Der Kläger und Vermieter hatte seit Beginn des Mietverhältnisses keine Nebenkostenabrechnungen erstellt. Im November 2010 begehrte er durch den Hausverwalter von der Beklagten eine Nachzahlung von über 4.300 € für das vorangegangene Jahr, wogegen die Beklagte einwendete, es sei ein unzutreffender Abrechnungsmaßstab zugrunde gelegt worden. Im Oktober 2011 erfolgte die Nachforderung für das Jahr 2010 in Höhe von über 5.200 € und im August 2012 forderte er fast 4.000 € Nebenkosten für das Jahr 2011 - dies jeweils unter Fristsetzung zur Zahlung von 14 Tagen.

Der Vermieter war der Meinung, die Mieterin könne wegen Fristablaufs gemäß § 556 Abs. 3 BGB keine Einwendungen mehr gegen die Betriebskostenabrechnung erheben. Außerdem sei mietvertraglich geregelt worden, dass alle Betriebskosten von der Mieterin zu tragen seien. Die Mietfläche stehe fest und somit auch die Höhe der geschuldeten Nebenkosten.

Die Mieterin stellte sich dagegen auf den Standpunkt, mietvertraglich sei nur die Zahlung der Kosten für die Straßenreinigung, der Müllabfuhr sowie Fernwärme und Heizung und Heizungswartung vereinbart worden. Dies ergebe sich unter anderem aus der Streichung der Liste zu den Nebenkosten und der Tatsache, dass der Vertrag aus dem Jahr 1999 den Vertrag von 1992 lediglich fortgeführt habe. Schließlich sei auch die Abrechnung nicht formell ordnungsgemäß gewesen; auch sei der Abrechnungsmaßstab unzureichend, da die Nutzflächenberechnung des Architekten nicht vorläge. Es liege überdies Verwirkung der Ansprüche auf Nebenkosten vor, da der Kläger diese erstmalig 2009 geltend gemacht habe. Ansonsten müsste jedenfalls von einer stillschweigenden Vertragsanpassung ausgegangen werden, nach der die „Vorauszahlungen“ tatsächlich Pauschalzahlungen darstellen.

In Summe machte der Kläger über 13.500 € nebst Zinsen geltend. Die Beklagte begehrte die Abweisung der Klage.

Entscheidung

Das Landgericht wies die Klage zum überwiegenden Teil ab und sprach dem Kläger nur einen Anspruch in Höhe von 4.200 € zu. Zur Begründung führte die Einzelrichterin an, dass zunächst eine Vertragsauslegung erforderlich gewesen sei, nach der die Beklagte an Nebenkosten die Kosten der Straßenreinigung und Müllabfuhr sowie die Kosten für die Fernwärme, Heizung und Heizungswartung nicht aber sämtliche Kosten nach Anlage 3 zu § 27 der II. Betriebskostenverordnung schulde. Aus der Zusammenschau der Klauseln ergebe sich, dass nur die aufgelisteten Betriebskosten aus § 6 des Vertrages von 1992, nicht aber die Kosten aus der gestrichenen Tabelle Gegenstand der Regelung geworden sein können. Dies gelte auch fort für die Verträge von 1999 und den stillschweigend abgeschlossenen Vertrag von 2010, da es sich jeweils unstreitig um „Verlängerungen“ gehandelt habe. Zwar seien über die im älteren Vertrag vereinbarten Nebenkosten hinaus weitere vom Mieter zu zahlende Kosten wie z.B. Grundsteuer und Wasserversorgung aufgeführt, doch führe dies durch den maschinellen Verweis auf § 6 und dort die Ziffern 1 und 3 nicht dazu, dass die – in diesem Vertrag nicht gestrichenen – weiteren Nebenkostenpositionen geschuldet werden, da die eingefügten Vereinbarungen teils mitten im Satz bzw. nach einem Doppelpunkt eingefügt worden seien und so deutlich werde, dass die vorgedruckte Variante hinter der Individualvereinbarung zurücktreten solle.

Die sich aus der Vertragsauslegung ergebenden Nebenkosten waren aber entgegen der Ansicht der Beklagten nicht durch konkludente Vertragsanpassung abbedungen. Die Richterin nahm keine stillschweigende Vereinbarung einer monatlichen Pauschalzahlung von 600 DM an. Der Umstand, dass der Vermieter tatsächlich in dem Zeitraum von 1992 bis einschließlich 2008 keine Nebenkostenabrechnung erstellt hatte, führe nicht zu einer Änderung des Mietvertrages. Grundsätzlich sei es nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) zwar möglich, dass ein Änderungsvertrag hinsichtlich der Betriebskosten zustande kommt, nach dem diese dann nicht mehr geschuldet sind, doch seien im vorliegenden Fall die dafür erforderlichen Voraussetzungen nicht erfüllt. Dafür hätten aber zu dem Verhalten des Vermieters, aus dem sich aus Sicht des Mieters der Vertragsveränderungswille hat ableiten lassen, besondere Umstände treten müssen, die hier nicht ersichtlich gewesen seien.

Das Gericht machte außerdem deutlich, dass der Geltendmachung von Einwendungen nicht der § 556 Abs. 3 BGB entgegenstehe. Nach dieser Vorschrift besteht für die Ansprüche aus Mietverträgen über Wohnraum eine Abrechnungsfrist von einem Jahr, nach deren Ablauf Nachforderungen durch den Vermieter ausgeschlossen sind. Für den Mieter regelt die Norm, dass Einwendungen gegen die Abrechnung spätestens bis zum Ablauf des zwölften Monats nach Zugang der Abrechnung mitzuteilen sind. Auf das Gewerberaummietrecht findet die Norm aber keine Anwendung, da die Verweisungsnorm § 578 BGB gerade die Anwendung des § 556 BGB nicht anordne.

Schließlich liege auch keine Verwirkung vor; für diese sei erforderlich, dass – abgesehen von bloßem Zeitablauf – weitere Umstände vorliegen, die für den Schuldner einen Vertrauenstatbestand erschafften und die spätere Geltendmachung als treuwidrig erscheinen ließen.

Praxishinweis

Mietverträge und hier insbesondere die Vereinbarungen zu den Betriebskosten sind sorgfältig zu formulieren! Dabei ist bei der Benutzung von vorformulierten Verträgen, wie sie beispielsweise im Internet in großer Zahl zu finden sind, zu beachten, dass bei Ungenauigkeiten und Widersprüchlichkeiten in Verträgen nach dem Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen diese grundsätzlich zu Lasten des Verwenders gehen. Auch ist darauf zu achten, dass Individualvereinbarungen stets im Rang vor vorformulierten Klauseln stehen. Ungewollte Regelungslücken führen regelmäßig zu Auslegungsproblemen, die nicht selten nach langwierigen Streitigkeiten die Gerichte beschäftigen.

Der vorliegende Rechtsstreit ist das Ergebnis eines vernachlässigten Abrechnungsverhältnisses. Die Schwierigkeiten, die sich bei der Ermittlung des ursprünglich Gewollten ergeben, potenzieren sich nach derart langer Zeit der Untätigkeit. Im vorliegenden Fall lagen 16 Jahre zwischen Vertragsschluss und der gerichtlichen Auseinandersetzung, sodass es den Parteien und erst Recht dem Gericht schwer fiel, den ursprünglich gewollten Vertragsinhalt festzustellen.

Die Klärung offener Fragen liegt nicht allein im Interesse des Vermieters! Ein weiterer Aspekt der Untätigkeit ist nämlich die Möglichkeit der Verjährung einzelner Forderungen. Dies muss für den Mieter nicht immer vorteilig sein - die Verjährung betrifft neben den Zahlungsansprüchen auch die sich ergebenden Guthaben aus den einzelnen Abrechnungszeiträumen. Hätte der Mieter im hier besprochenen Fall in den ersten Jahren Guthaben angehäuft, wäre dieses nicht mehr den Forderungen aus den späteren Abrechnungsjahren entgegenzusetzen gewesen.

Wir empfehlen bei allen Verträgen und insbesondere bei Verträgen über einen langen Zeitraum – gerade in der Gewerberaummiete - größtmögliche Sorgfalt bei der Ausarbeitung walten zu lassen und bei Unsicherheiten immer einen Rechtsanwalt hinzuzuziehen. Zudem raten wir dringend davon ab, Ihre laufenden Verträge zu vernachlässigen. Auch wenn sich die abweichende Praxis zunächst zu Ihren Gunsten auswirkt, sollten Sie auf eine Klärung hinwirken. Dies spart im Zweifel Ärger und Prozesskosten und stellt zudem sicher, dass etwaige Vorteile gewahrt werden können.

Wenn Sie Fragen zu der besprochenen Entscheidung haben oder vor dem Abschluss eines Mietvertrages stehen, den Sie im Vorfeld geprüft wissen wollen, wenden Sie sich an uns. Wir begutachten zudem Ihre laufenden Verträge und erreichen Einigungen bei zweifelhafter Vertragslage.

Ihr Rechtsanwalt Dieter Schmitz in Witten

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